„Flügel auf zum Zweiten“

Das Klavierfestival Ruhr 2024 lockt mit reichem Programm und großen Namen

von Johannes Vesper

„Flügel auf zum Zweiten“

Das Klavierfestival Ruhr 2024 lockt 
mit reichem Programm und großen Namen
 
Von Johannes Vesper
 
Das Programm für das Klavierfestival Ruhr (26. April bis 16. Juli 2024) präsentierte zum ersten Mal Katrin Zagrosek, die neue Intendantin und Nachfolgerin von Franz-Xaver Ohnesorg. Die Erwartungen sind groß, wird es doch 66 Konzerte in 17 Städten mit 67 Pianistinnen und Pianisten aus 34 Nationen geben, davon 23 zum ersten Mal beim Klavier Festival. Im Gefolge der neuen Zeit hat sich nicht nur das Erscheinungsbild des Gesamtprogramms geändert, dem Klaviertasten und Klaviatur abhandenkamen, sondern auch der Inhalt. Der reine Konzert-Kalender beginnt erst auf Seite 114 und benötigt circa 34 Seiten, aber auf den Seiten 17-114 findet man Texte zu Künstlern, Konzerten, und Konzertreihen So wurde das gedruckte Gesamtprogramm eher zu einem Handbuch des Festivals, welches zum Lesen auch unabhängig von den Konzertterminen einlädt. Leonard Birnbaum, der Vorstandsvorsitzende der e.on (Schirmherr des Klavier Festivals, Ruhr, 2024) zeigte sich gerade durch die Mischung aus

Katrin Zagrosek- Foto © Peter Wieler
anspruchsvollen großen Konzerten auf Weltklasseniveau für alle und kammermusikalischen Formaten mit Breitenwirkung auch in kleinen Sälen besonders gelungen. Als langjähriger Förderer will er die besondere Chance, die sich mit dem Intendantenwechsel für eine neue notwendige Orientierung ergeben, gerne begleiten und unterstützen. Im Mittelpunkt steht für ihn, daß das Ruhrgebiet damit als attraktive Region internationale Strahlkraft entwickelt, spricht in diesem Zusammenhang neudeutsch auch von Good Corporate Citizenship und hofft auf die Frieden stiftende Kraft der Musik in dieser aktuell kriegerischen und konfliktreichen Welt.
 
Intendantin Zagrosek stellte dann fünf Porträtkünstler vor, darunter Kirill Gerstein, der mit Brad Mehldau die Faszination für den Jazz nie verloren hat, diesmal außerdem Zeit für Busoni findet (Lecture Recital) und außerdem mit dem WDR Sinfonieorchester Köln unter der Dirigentin Elim Chan, u.a. das Konzert für Klavier und Orchester, Opus 42 von Arnold Schönberg aufführen wird. Kit Armstrong wird an zwei Abenden in der Gebläsehalle des Landschaftsparks Nord (Duisburg) Mozart erkunden. Andras Schiff stellt in Düsseldorf u.a. junge Pianistinnen und Pianisten seines Mentoren- Programms vor. Jan Lisiecki wird mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Tarmo Peltokoski die Klavierkonzerte von Sergei Prokofjew darbieten und von Alexander Melnikov sind einerseits alle Präludien und Fugen von Dmitri Schostakowitsch zu hören (im Salzlager der Zeche Zollverein) und zum anderen an spektakulärem Ort Klaviermusik der Wiener Klassik auf historischem Hammerklavier. Der gläserne Erich Brost-Pavillon in knapp 40m Höhe auf dem Dach der ehemaligen Kohlenwäsche (Zeche Zollverein) mit seinem gigantischen Rundblick paßt zu diesem musikalischen Höhepunkt.
Neben den klassischen Konzertsälen der Region wurden also auch andere ursprünglich nicht für Konzerte gedachte Spielstätten aufgetan. Das ehemalige Salzlager der Kokerei in der Zeche Zollverein beeindruckt durch nackte Betonwände und moderne Kunst. Die Akustik gilt als ausgezeichnet. Für die Konzertreihe „Klavier und Elektronik“ ist in Gelsenkirchen die Heilig-Kreuz-Kirche ein idealer Ort. In vier Konzerten wird dort die Klangwelt des Klaviers um elektronische Musik erweitert. „Youngsters“, also junge Pianistinnen und Pianisten, spielen mit Spitzenorchestern, haben schon Wettbewerbe gewonnen und werden mit einer eignen Reihe in Solokonzerten auf Zollern (Dortmund) und Zeche Zollverein (Essen) vorgestellt. Die Reihe „Jazz Piano“ wird mit 8 Konzerten Fußspitzen ins Wippen bringen. Ferruccio Busoni ist vor 100 Jahren gestorben. Aus diesem Anlaß ist auch in der Historischen Stadthalle auf dem Johannisberg in Wuppertal Zeit für ihn. Sein gewaltiges Konzert für Klavier und Orchester mit Männerchor op. 39 (80 Minuten) wird dort Marc-André Hamelin zusammen mit dem Sinfonieorchester Wuppertal unter GMD Patrick Hahn aufführen.

Mit der herrlichen Präsentation des Prelude op. 23 Nr. 5 g-Moll von Sergei Rachmaninow und der lyrischen Canzona Serenata op 38 Nr 6 von Nikolai Medtner (1879-1951) stimmte auf der Pressekonferenz zwischendurch der junge Roman Borisov die Musikkritiker zusätzlich ein.
Prof. Bleek zeigte mit zwei kurzen Filmen Aspekte des Education Programms, welches das Klavierfestival seit 2007 mit großem Team in sozialen Brennpunkten des Ruhrgebietes unter seiner Leitung von Grundschulen auch auf Kindertagesstätten ausgedehnt worden ist. Inzwischen ist das Programm auch in Duisburg-Hochfeld und in Bochum-Gerthe aktiv, umfaßt jetzt auch musikalische Weiterbildung für Erzieherinnen. Da wird nicht zu Musikkonsum erzogen, sondern interaktiven, offenen Kinderohren und temperamentvoller Kindermotorik herausfordernde Musik und Tanz geboten, was der Staat nicht leisten kann und was nur geht mit zivilgesellschaftlichen Engagements aller Beteiligten. Der Pianist Fabian Müller unterstützt hier seit Jahren. Der Intendantin war zum Schluß wichtig, daß alle diese Konzerte als gemeinsames kulturelles Erlebnis zwischen Musizierenden und Publikum an einem Ort gerade heute bei divergierenden gesellschaftlichen Strömungen und politischen Ansichten von großer Bedeutung sein können und daß „die leidenschaftliche Hingabe an die Musik und die bedingungslose Liebe zum Klavier“, daß die große Kraft der Musik“ die Welt zu einer besseren machen kann. Recht hat sie!
 
Weitere Informationen:  www.klavierfestival.de